Neuer Artikel von Ute Symanski und Harald Schuster: Auch demokratische Prozesse brauchen Wertschätzung

Gemeinsam mit meinem Kollegen Harald Schuster freue ich mich sehr über unseren neuen Artikel: Eine Million Unterschriften – Radentscheide schreiben Demokratiegeschichte. Wir berichten über unser zivilgesellschaftliches Projekt, die Volksinitiative „Aufbruch Fahrrad“, das uns sehr am Herzen liegt und in das wir und viele weitere zivilgesellschaftliche Akteure viel Zeit und umfassendes Engagement investiert haben.

Ich bin davon überzeugt, dass ein wichtiger Baustein für den Erfolg von Aufbruch Fahrrad war, dass wir in der Projektkoordination unsere geballten Kompetenzen und Erfahrungen als Soziologin, Sozialpsychologe, als Berater*innen und Konfliktbehandler*innen eingebracht haben. Wir haben durch wertschätzende Kommunikation Brücken gebaut und immer wieder zwischen scheinbar unvereinbaren Positionen vermittelt. Transformationsprozesse brauchen genau das. Und sie brauchen ein hohes Maß an Kooperationskompetenz der Verantwortlichen, damit sie sie nachhaltig erfolgreich sind.

Die Stärkung der Demokratie halten wir in diesen Zeiten für wichtiger denn je, denn viele Menschen haben das Gefühl, dass die Politik grundlegende Entscheidungen trifft, ohne dabei die Perspektive von Bürger*innen hinreichend zu berücksichtigen. Eine Möglichkeit, diesem Gefühl entgegenzuwirken, sind die Mittel der direkten Demokratie, die in unserem Rechtssystem verankert sind. Denn direkte Demokratie ist Demokratie zum selber machen!

In der neuen Auflage von „Mehr direkte Demokratie wagen“ analysieren 40 Autor*innen die direkte Demokratie. Wir freuen uns sehr darüber,  Teil dieses wirklich beeindruckenden Autor*innen-Kollektivs zu sein, und Teil dieses vielfältigen Buches zu sein, das mit inspirierenden Ideen, Projekten und Wissen gefüllt ist. Danke an die Herausgeber für diese Einladung an uns.

Aufbruch Fahrrad“ ist ein perfektes Beispiel für die Umsetzung von direkter Demokratie. Inspiriert vom Erfolg des „Volksentscheid Fahrrad Berlin“ hatten wir seinerzeit die Idee, eine ähnliche Kampagne für Nordrhein-Westfalen zu starten. Im Team von RADKOMM e.V. begannen wir im Spätsommer 2016 mit der konkreten Arbeit. Wir schmiedeten das Aktionsbündnis mit 215 Verbänden und Vereinen (!), wir entwickelten die Marke „Aufbruch Fahrrad“, wir formulierten die neun konkreten Forderungen für eine stärkere Fahrradmobilität in NRW.

Engagement wirkt! Es macht Mut zu sehen, dass gesellschaftliches Engagement zu Erfolg führt und dass wir als Bürger*innen die Möglichkeit haben, aktiv an politischen Veränderungen mitzuwirken.

Ich finde es für mich persönlich bemerkenswert, die erste Frau in NRW zu sein, die die Rolle der Vertrauensperson für eine erfolgreich durchgeführte Volksinitiative übernehmen konnte. Diesen schönen Titel bekommen diejenigen, die eine Volksinitiative offiziell anmelden. Die anschließende Unterschriftensammlung begann im Juni 2018 und erhielt breite Unterstützung von Prominenten und der Öffentlichkeit. Innerhalb eines Jahres sammelten wir 206.687 Unterschriften, weit über die erforderlichen 66.000 hinaus.

Im Oktober 2019 empfahl der Verkehrsausschuss des Landtags NRW einstimmig die Annahme der Volksinitiative, die schließlich im Dezember 2019 vom Landtag angenommen wurde. Die Annahme der Volksinitiative führte zur Entwicklung und Verabschiedung des ersten Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetzes in NRW, das am 1. Januar 2022 in Kraft trat.

Die aktive Beteiligung vieler Menschen an der Volksinitiative „Aufbruch Fahrrad“ ist zweifellos einer der weiteren entscheidenden Faktoren für ihren Erfolg und wirkt langfristig nach. Selbst mehr als zwei Jahre nach Abschluss des Projekts sind die positiven gesellschaftlichen Auswirkungen spürbar. Das Fahrrad- und Nahmobilitätsgesetz ist ein direktes Ergebnis von „Aufbruch Fahrrad“ und hat nachhaltige Veränderungen bewirkt. Darüber hinaus hat die gesamte Kampagne eine dauerhafte Aktivierungskraft entfaltet. Aus einem impulsiven Beginn wurde eine kontinuierliche Bewegung, die als Initialzündung für weitere Initiativen und individuelles Engagement dient. Viele der aktiven Unterstützer*innen schlossen sich nach der Volksinitiative Verbänden vor Ort an, was zu einem bemerkenswerten Zuwachs an Mitgliedern führte. Andere Engagierte traten politischen Parteien bei und sind mittlerweile in kommunalpolitischen Funktionen aktiv. „Aufbruch Fahrrad“ ist somit nicht nur eine Erfolgsgeschichte für die Fahrradmobilität, sondern auch für die Aktivierung und Beteiligung der Bürger*innen.

  • Symanski, Ute; Schuster, Harald (2024): Eine Million Unterschriften – Radentscheide schreiben Demokratiegeschichte. In: Heußner, H.K.; Pautsch, A; Rehmet, F.; Kiepe, L. (Hrsg.): Mehr direkte Demokratie wagen: Volksentscheid und Bürgerentscheid – Geschichte, Praxis, Vorschläge, Lau-Verlag, Seite 275 – 282.
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