Dr. Ute Symanski alias Dr. acad. Sommer hilft einer Wissenschaftsmanagerin, die zweifelt, ob sie sich auf eine Stelle bewerben soll.
Als Frau „Dr. acad. Sommer“ berate ich im DIE ZEIT WISSEN DREI Newsletter die Scientific Community zu diversen Fragestellungen rund um die eigene Führungs- und Leitungsrolle im Wissenschaftssystem. „Dr. acad. Sommer“ ist die Coaching-Kolumne des Coachingnetz Wissenschaft e.V. Im Wechsel befassen wir uns mit diversen Anliegen, die an das Redaktionsteam von DIE ZEIT WISSEN DREI gestellt werden. In der Ausgabe vom 13. Januar 2025 berate ich eine Wissenschaftsmanagerin, die sicher war, die Nachfolge der Dezernatsleitung antreten zu können – nachdem sie ihre Führungskraft lange vertreten hatte. Doch nun wird die Stelle extern ausgeschrieben.
„Liebe Frau Dr. acad. Sommer,
die letzten drei Jahre habe ich als Stellvertreterin kommissarisch das Dezernat geleitet. Unsere Dezernatsleitung war lange krank, ging dann in die Frührente. In der Zeit hatte ich quasi zwei Jobs, und habe den Laden am Laufen gehalten. Ich habe fest damit gerechnet, die Dezernatsleitung zu bekommen. Nun soll die Stelle extern ausgeschrieben werden. Ich empfinde das als Affront. Meine Leistung wird offenbar nicht gewürdigt. Soll ich mich überhaupt bewerben?“ fragt eine Wissenschaftsmanagerin.“
Liebe X,
drei Jahre lang gefühlt zwei Jobs machen – das klingt nach einer herausfordernden Zeit. Und dass Sie davon ausgehen, Ihre Qualifikation für die Übernahme der Dezernatsleitung hinreichend bewiesen zu haben, kann ich gut verstehen. Ebenso Ihren Frust, dass Sie nun nicht „automatisch“ in die Leitungsposition kommen. Zu Ihrer Frage, ob Sie sich überhaupt bewerben sollten, folgende sechs Impulse:
1. Es ist möglich, dass die Gründe für die geplante Ausschreibung rein gar nichts mit Ihnen und Ihrer Arbeitsleistung zu tun haben. Vielleicht wurde das Procedere für die Stellenbesetzung nicht weiter hinterfragt und läuft nach Schema F ab. Vielleicht gilt eine neue „policy“ in der Personalabteilung, die für Leitungspositionen eine Ausschreibung ab sofort vorsieht – auch wenn rein rechtlich eine Ausschreibungspflicht nur für verbeamtete Positionen gilt. Der Gedanke, dass für alle die gleichen Spielregeln gelten, könnte entlastend wirken.
2. Es klingt für mich so, als würden Sie die Dezernatsleitung gerne übernehmen – nach den drei kommissarischen Jahren nun auch ganz offiziell. Richtig? Diese Frage scheint mir wichtig, denn wenn Sie die Leitungsfunktion bekommen, verlieren Sie Ihren bisherigen „Hauptjob“, den Sie womöglich ebenfalls gerne ausgefüllt haben. Vielleicht mögen Sie für sich selbst noch einmal sammeln, was alles Sie an der Dezernatsleitung reizt. Vielleicht ist es der Gestaltungsspielraum. Vielleicht sind Sie gerne Führungs- und Leitungskraft. Vielleicht möchten Sie die Arbeit der letzten drei Jahre fortsetzen. Sie könnten sich eine Liste mit all den „pull-Faktoren“ machen, die Sie in den Job ziehen. Das könnte dazu beitragen, dass Sie Ihr Ziel noch einmal klarer vor Augen haben, und vielleicht stärkt das Ihre Entschlossenheit. Diese Klarheit könnte eine nützliche Basis für die weiteren Überlegungen sein.
3. Vielleicht haben Sie das Gefühl, es hätte etwas mit Ihnen oder Ihrer Arbeitsleistung zu tun, dass man Ihnen die Dezernatsleitung nicht direkt überträgt. Oder Sie haben den Eindruck, dass die Doppelarbeit in der Vertretungszeit nicht angemessen gewürdigt wird. Angenommen, es gäbe wirklich Personen an entscheidenden Stellen, die nicht davon überzeugt sind, dass Sie die richtige Nachfolge sind. Dann wäre ein offenes Bewerbungsverfahren eine sehr gute Möglichkeit, sich zu beweisen. Niemand kennt diese Funktion so gut wie Sie. Durch den Vergleich mit anderen, die sich bewerben, könnten Sie diesen Vorsprung an Wissen und Erfahrung untermauern. Und auch noch einmal darstellen, was alles an Leitungsarbeit Sie in den letzten Jahren erbracht haben.
4. Wenn Sie die Position bekommen, weil Sie die qualifizierteste Bewerberin sind, stärkt das Ihr Standing in der Hochschule – denn die Leitungsfunktion wurde Ihnen nicht geschenkt, und es wurde nicht geklüngelt.
5. Falls Sie sich bewerben, könnten Sie sich von Anfang an auch auf die Option vorbereiten, dass Sie die Position nicht bekommen. Um nicht in ein inneres schwarzes Loch zu fallen, hilft vielleicht der Gedanke, dass in Bewerbungsverfahren oft auch ein Quentchen Glück den Ausschlag gibt. Oder es hilft der Vergleich mit einem Berufungsverfahren für Professuren, das von denjenigen, die sich bewerben, viel Einsatz erfordert, ohne eine Gewissheit zu haben, ob man tatsächlich jemals berufen wird. Hervorragende Eignung hin oder her.
6. Ich meine, dass es sich in jedem Falle lohnt, mit Ihrer Kanzlerin oder Ihrem Kanzler zu sprechen. Im Sinne einer proaktiven Führungskultur könnten Sie rückmelden, wie es Ihnen mit der Information, dass die Stelle ausgeschrieben werden soll, geht. Und dass Sie sich gewünscht hätten, dass man dieses Procedere mit Ihnen abgesprochen hätte. Ebenso könnten Sie Ihr eigenes Interesse an der Leitung untermauern, und Ihre Verdienste der letzten drei Jahre noch einmal in Erinnerung rufen. Je nach Verlauf des Gesprächs machen Sie sich vielleicht gestärkt und ermutigt direkt an die Bewerbung. Und falls Sie den Eindruck haben, dass Sie womöglich nicht die Wunschkandidatin für die Stelle sind, gehen Sie direkt zu Impuls Nr. 2.
Mein Fazit: Bewerben Sie sich, wenn Sie die Leitung des Dezernats wirklich wollen. Werden Sie ausgewählt, stärkt das Ihr Standing, denn dann haben Sie in einem Auswahlverfahren gezeigt, dass Sie die beste Besetzung für die Stelle sind. Und für den Fall, dass eine andere Person ausgewählt wird, weiß die künftige Dezernatsleitung, dass auch Sie sich den Job zugetraut hätten, und wird sie mit anderen Augen betrachten. Was eine gute Voraussetzung ist, eine künftige Aufgabenteilung in Ihrem Sinne zu verhandeln.
Erschienen in DIE ZEIT WISSEN DREI vom 13. Januar 2025. Anmeldung zum DIE ZEIT WISSEN DREI-Newsletter unter: www.zeit.de/wissendrei